Lebensgeschichten

Jacques Queyrois: Politik-Aktivist und Besitzer des Karmah Circus. Von Fakirspielen zur Französischen Resistance

Der Lebenslauf von Jaques Queyrois, der unter dem Künstlernamen „Karmah“ bekannt wurde, ist gekennzeichnet durch eine gewisse Neigung und auch Fähigkeit zur politischen Provokation. Queyrois, der 1893 in Bordeaux das Licht der Welt erblickte, arbeitete ursprünglich als Möbeltischler in Faubourg Saint-Antoine, Paris. Sein Vater Jean Queyrois war selbst Zimmermann und seine Mutter Catherine (geb. Despéries) Schneiderin.

1926 stellte sich Jaques Queyrois dem Journalisten und Hobbymagier Paul Heuzé vor und bot an, für ihn zu arbeiten. Dieser erinnerte sich später daran, dass Queyrois bereits einen Akt auf meditativer Grundlage geschaffen hatte. Der artistische Durchbruch von Queyrois wurde indes dadurch erschwert, dass ihm trotz einer guten Ausbildung die Glaubwürdigkeit seiner Bühnenfigur fehlte. Heuzé schuf Abhilfe, entwickelte die Figur eines Fakirs und engagierte Queyrois. Heuzé war „ein Skeptiker, der die Tricks der Medien und der Fakire offenbarte, welche Paris zu ihrem glücklichen Jagdrevier gemacht hatten“, wie ein Zeitgenosse 1928 schrieb. Heuzé und Queyrois tourten in diesem Jahr zusammen in Paris, Brüssel, Lyon, Marseille und Toulon bevor sie am 11. Dezember 1928 im Cirque de Paris einen sagenumworbenen Auftritt hatten. In ihrer Vorstellung wandten sie sich gegen einen Fakir namens Tahra Bey, um dem Publikum aufzuzeigen, dass die Aufführung des letzteren außerhalb der Reichweite okkulter Fähigkeiten lag. Tahra Bey wurde vor 7000 Zuschauern besiegt, weitere 5000 versuchten angeblich in das Gebäude hineinzukommen. Das Duell im Cirque de Paris hat in den 1920er und 1930er Jahren ähnliche Zirkusveranstaltungen nach sich gezogen, wie Zusne 1989 schrieb. Dank der Zusammenarbeit mit Heuzé erreichte der Künstler „Karmah“ ebenfalls einen gewissen Bekanntheitsgrad.

Einen von Queyrois geführten Zirkus mit dem Namen „Karmah“ erwähnen Pressemeldungen seit 1930, insbesondere in Bezug auf Gastspiele in Nordafrika, aber auch hinsichtlich Auftritten

im französischen Mutterland. In französischen Archiven finden sich indes nur wenige Dokumente über diesen Zirkus. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet ein erhaltenes Plakat von 1935 mit der Schrift: „Karmah Circus präsentiert die Frauensägen in zwei Hälften“. Unvorstellbares Phänomen [Le Cirque Karmah présente La femme sciée en deux, phénomène inconcevable]“. Dieses Plakat fällt neben seinem farbenfrohen Muster vor allem durch seinen politischen Inhalt auf.


Le Cirque Karmah présente La femme sciée en deux, phénomène inconcevable. Finot from Louis Galice, 1935. Ville de Paris, Bibliothèque Forney, Roger-Viollet. AF 198257. 

Eine erste Fassung aus dem Jahr 1930 von Louis Galice für den Zirkus Palmarium zeigte dieselbe Szene: Eine Frau, die auf einem Tisch liegt, wird von Chirurgen in zwei Hälften zersägt, während ein Dutzend Männer mit unterschiedlichen Interessen zuschaut. Mehrere französische Politiker sind erkennbar. 1935 verwendete der Plakatkünstler Emile Finot auch die zeitgenössische politische Metapher, um den Hauptakt des Circus Karma zu promoten. Gaston „Doumergue“, ehemaliger Präsident von Frankreich, im Bild halb Chirurg, halb Metzger, „hantiert eine lange Säge, die den Körper einer rot gekleideten, schlafenden Frau [symbolisch Frankreich darstellend] in zwei Teile schneidet, ohne anscheinend emotional zu sein,“ wie Delporte 2006 die Szene beschrieb. Die wichtigsten politischen Akteure Frankreichs schauen amüsiert, ungeduldig oder gleichgültig zu. Der Französische Politiker des rechtskonservativen Pierre Laval, hält die Frau am Kopf fest, um sie am Gehen zu hindern. Zuschauer sind die rechtskonservativen Politiker André Tardieu, Georges Mandel, Henry Frédéric Chéron, Joseph Caillaux, ebenso wie die Linken-Politiker Édouard Herriot, Leon Blum und Joseph Paul-Boncour. Das Plakatmotiv konnte von der französischen Öffentlichkeit ohne Mühen als anti-parlamentarischen Angriff auf den französischen Staat interpretiert werden, bei der die schlafende Schönheit Frankeich darstellte. Bei der Enthüllung magischer Tricks nach einer Show prangerte Albert Queyrois stets auch jene politische Praxis an, die darauf abzielte, einen politischen Vorteil für eine bestimmte Partei durch Manipulation von Bezirksgrenzen zu schaffen.

Kurz nach dem Münchner Abkommen am 30. September 1938 das den Frieden in Europa sichern sollte, aber auch als Vorbote des bald ausbrechenden Krieges aufgefasst wurde, kehrte Queyrois nach Bordeaux zurück. 1939 ließ er sich 1939 in der Rue Mabec nieder, wo er nach dem Ende seiner Reisetätigkeit ein Café erwarb. Später führte Queyrois das Hôtel du Raisin-Blanc. Während des Krieges, im April 1942, heiratet er Francoise Schaub. Queyrois bekam Mitglied von Bordeaux-Loupiac, einem französischen Widerstandsnetzwerk, das die Flucht französischer und alliierter Piloten unterstützte. Wohl aufgrund dieser Verbindungen wurde Queyrois im Frühjahr 1944 verhaftet und am 21. Mai 1944 von Compiegne bei Paris in das Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg deportiert. Von dort wurde er in die Konzentrationslager Sachsenhausen und Mauthausen geschickt. Am 5. Mai 1945 befreite die US-amerikanische 5. Armee den Konzentrationslagerkomplex Mauthausen–Gusen. Schon zehn Tage später konnte der befreite Queyrois mit einem Flieger nach Paris zurückehren.   

Autor: Laurence Prempain

Quellen: Huddleston Sisley, Paris Salons, Cafés, Studios. J.B. Lippincott Company, 1928; Lachapelle Sofie, Conjuring Science: a history of scientific entertainment and Stage magic. Palgrave Macmillan US, 2015; Zusne Leonard, Jones Warren H., Anomalistic Psychology. A Study of Magical Thinking. Lawrence Erlbaum Associates, 1989 ; « Mon match avec le fakir Tarha Bey », Revue belge, 1er avril 1932, « Le match Tahra Bey-Paul Heuzé provoque des bagarres », Comoedia, 12 December 1928 ; Delporte Christian, Images et politique en France au XXe siècle, Paris, Nouveau Monde, 2006 ; Service historique de la Défense, Vincennes, Caen. 

Foto:  Le cirque Karmah en Afrique du Nord,  circa 1930, Bibliothèque Nationale de France, Département des Arts du spectacle. 4 COL (180) 50 Fonds Adrian. File Karmah.