Lebensgeschichten

Die Zirkusfamilie Esther und ihre Überlebensstrategien im Zweiten Weltkrieg

Nach dem 1. Weltkrieg führten Baptiste Esther (1893-1973) und seine Frau Méli Falck (1896-1955) mit ihren Kindern einen kleinen Familienzirkus. Von den Töchtern Rita und Zélie Esther wissen wir, dass sie mit Pferden gearbeitet haben. Baptiste Esther bildete auch seinen spanischen Ziehsohn Marius Swils aus, der mit der Familie lebte und später ein begabter Zirkusreiter wurde. Die Esthers waren mit der Familie Michelet befreundet, die sich in Gièvres (Loir-et-Cher) niedergelassen hatte. Im Jahr 1922 kaufte Baptiste Esther ein Stück Land gegenüber dem Grundstück seinem Freund Paul Michelet, den er aus dem gemeinsamen Militärdienst kannte. Später wurden die Bande durch Eheschließungen zwischen den beiden Zirkusfamilien weiter gestärkt.

Trotz des Umstandes, dass sich die Esthers in Gièvres befanden, galten die Familienmitgliedern den französischen Behörden im Zweiten Weltkrieg immer noch als sogenannte „Nomaden“ (siehe auch die Geschichte der Familie Michelet und Sénéca). Seit dem 6. April 1940 waren es allen fahrenden Gruppen nach Anordnung französischer Behörden untersagt, im Land auf Reisen zu gehen. Die Familie Esther kehrte daraufhin in die Gemeinde Jeu-Maloches (Department Indre, 30 km südlich von Gièvres, in der Nähe einer ihr bekannten Bauernfamilie ein. Die Angehörigen der Esther-Familie konnten sich in jener Zeit als Saisonarbeiter auf Bauernhöfen und Weinbergen der Umgebung verdingen.

Zu einem bestimmten Zeitpunkt kam Baptiste Esther mit dem französischen Widerstand in Kontakt, der in der Gegend um Jeu-Maloches aktiv war. Er war in das Versorgungnetzwerk der Résistance eingebunden und verteilte Lebensmittel an mehrere Verstecke.

Baptiste Esther konnte während der gesamten Kriegszeit seine Zirkuspferde behalten. Nach dem Ende des Krieges und dank seiner erwiesenen Verbindungen zur französischen Widerstandsbewegung konnte Baptiste Esther das Zirkusgeschäft der Familie rasch wiederaufnehmen. Wie bei vielen kleinen Familienzirkussen war das Zelt und die restliche Ausrüstung mit gebrauchten Materialien handgefertigt. Enkel Baptiste Caplot, Jahrgang 1936, erinnert sich, dass er wie alle Kinder der Familie auch am Auf- und Abbau des Zirkuszeltes teilnehmen musste.

In den späten 1950er Jahren stellte Baptiste Esther das Zirkusgeschäft aufgrund steigender Kosten und der Konkurrenz großer Zirkusunternehmen ein. Außerdem wirkte der Zirkusberuf und das damit verbundene Leben auf die die jüngere Generation nicht mehr anziehend genug. Die Kinder von Baptiste und Méli Esther wollten nicht mehr in die Fußstapfen ihrer Eltern folgen. Baptiste und Méli Esther arbeiteten jedoch weiterhin im ambulanten Showgeschäft und betrieben eine Lotterie auf diversen Rummeln.

Autor: Laurence Prempain, basierend auf einer ersten Version von Bruno Lo Biundo

Quellen:

Entretien avec Baptiste Caplot, propos recueillis le 22 novembre 2018 à Gièvres, Barrier, Robert et Philippe, Cent cirques français sur “le voyage”. Autoédition, Crépy-en-Valois, 1994; Barrier, Robert, Grand répertoire illustré des cirques en France : 1845. Autoédition, Crécy-en-Valois, 1997; Filhol Emmanuel, Hubert Marie-Christine, Les Tsiganes en France. Un sort à part, 1939-1946. Paris, Perrin, 2009; Hubert Marie-Christine, Les Tsiganes en France 1939-1946, Assignation à résidence, Internement, déportation. Paris, Université Paris 10, 1997.