Lebensgeschichten

Die Internierung der Sénécas im Zweiten Weltkrieg: Eine Zirkusfamilie hinter Stacheldraht

Die ursprünglich aus Belgien stammenden Sénécas reisten in der Zwischenkriegszeit mit ihrem Familienzirkus in ganz Frankreich. Als reisendes Familienunternehmen, das über keinen festen Wohnsitz verfügte, kamen die neun Kinder von Albert Sénéca (geb. 1907 in Belgien) und Joséphine Sénéca (geb, 1907 in Frankreich) an den verschiedenen Orten Frankreichs zur Welt. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erlebte die Familie Sénéca das gleiche Schicksal wie andere nichtsesshafte Gruppen in Frankreich: Hausarrest, Inhaftierung, Internierung in Lagern.

Seit dem 19. Jahrhundert hatte die französische Regierung eine Gesetzgebung entwickelt, um umherziehende Gruppen, sogenannte „Nomaden“, besser kontrollieren zu können. Am 18. November 1938 legalisierte ein französisches Gesetzdekret die Internierung „gefährlicher Personen zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit“, was auch zur Festsetzung von Individuen ohne festen Wohnsitz herangezogen wurde. Am 4. April 1940 wurden Nichtsesshaften das Umherziehen während des Krieges untersagt. Die Entscheidung, diese Gruppe unter Hausarrest zu stellen und nicht in Lagern zu internieren, hatte Finanzielle Gründe: Die festgesetzten Personen sollten ihren Lebensunterhalt weiterhin selbst verdienen. Nachdem die deutsche Wehrmacht die französische Armee besiegt und einen großen Teil des Landes besetzt hatte, ordnete der eingesetzte deutsche Militärbefehlshaber am 4. Oktober 1940 die Internierung aller umherziehenden Gruppen durch die französischen Behörden in der deutschen Besatzungszone an.

Gemäß dieser Weisung ordnete der örtliche deutsche Militärbefehlshaber in Le Mans, Westfrankreich, am 14. Oktober 1940 die Internierung aller umherziehenden Gruppen in seinem Kommandobereich an. Der französische Präfekt des Department Sarthe sorgte für die organisatorische Umsetzung der Anordnung. Dokumente aus dem französischen Polizeiarchiv zeigen, dass die Zirkusfamilie Sénéca am 30. April 1943 in der Kleinstadt La Ferté Bernard des Departements Sarthe festgenommen wurde. Achtzehn Mitglieder der Familie Sénéca, überwiegend Kinder, wurden in das Internierungslager Montreuil-Bellay im Department Maine-et-Loire gebracht. Wenige Wochen später wurden vier weitere Familienmitglieder arretiert und in das gleichnamige Lager geschickt. Zu den inhaftierten Sénécas gehörte auch die Familie von Désiré Sénéca (geb. 1884 in Belgien) und Jeanne Sénéca (geb. 1882 in Frankreich) mit ihren sieben Kindern.

Bei Lagereintritt gab Joséphine Sénéca bei der Frage des ausübenden Berufs an, Equilibristin zu sein. Ihr Ehemann Albert erklärte laut Archivunterlagen, Zirkuskünstler zu sein, Alberts Neffe Lucien sagte, er sei Zirkusangestellter.

Die Familie blieb bis zu Schließung des Lagers Montreuil-Bellay im Januar 1945 interniert.

Laut den französischen Zirkushistorikern Robert und Philippe Barrier reiste 1953 im Norden Frankreichs ein kleiner Familienzirkus mit dem Namen Sénéca, der von Juliano und Victor Sénéca geführt wurde. Der Zirkus zeigte Eigenschaften kleiner französischen Familienzirkusse aus der Vorkriegszeit. „Dieser [der Zirkus] wurde in einem Konvoi von drei Fahrzeugen transportiert, gefolgt von mehreren Wagen, die von Pferden gezogen wurden“, wie ein Relikt aus alten Zeiten.

Heute setzt die Familie Sénéca ihre Zirkusaktivitäten mit dem Montreal Circus fort. Vor kurzem wurde der Zirkus in „Cirque Ethan und Shanly Sénéca“ umgenannt, benannt nach den Urenkeln des Seniorchefs Nicolas Sénéca, der zur Zeit seiner Internierung in Montreuil-Bellay ein elfjähriger Junge war.

Autor: Laurence Prempain, basierend auf einer Vorlage von Bruna La Biundo.

Quellen:

Barrier, Robert et Philippe, Cent cirques français sur “le voyage”. Autoédition, Crépy-en-Valois, 1994; Barrier, Robert, Grand répertoire illustré des cirques en France: 1845-1995. Autoédition, Crécy-en-Valois, 1997; Filhol, Emmanuel, La mémoire et l’oubli: l’internement des Tsiganes en France, 1940-1946. Paris, L’Harmattan, 2004; Hubert, Marie-Christine: « 1940-1946, l’internement des Tsiganes en France ». Hommes & migrations, n° 1188-1189, 1995, pp. 31-37. ADMaine-et-Loire, Angers, files related to the Montreuil-Bellay camp: 12W 65, 303W 193, 303W 194.